Mittwoch, 18. April 2012

Geänderte Zugreihenfolge

Es gibt an jedem Bahnsteig eine Schautafel, wo auf Papier gedruckte Grafiken symbolisieren, wie genau jeder Zug, der an diesem Bahnsteig halten soll, stehen wird.



Darauf erkennt der Fahrgast beispielsweise, dass der Wagen 21 im Bereich A des Bahnsteigs zum Stehen kommen wird. Oder der Wagen 31 im Bereich F. Die Bereiche sind am Bahnsteig auf große Tafeln auch für Brillenträger gut erkennbar aufgehangen.

Routinierte Fahrgäste rennen gehen so auf den Bahnsteig, dass sie im Vorbeigehen diese Wagenanzeige kurz überfliegen und den für sie passenden Bereich des Bahnsteigs ansteuern. Die Reservierung läuft auf Wagen 21, Platz 107 - also ab in den Abschnitt A.

Und dann folgt eine Durchsage, am Hauptbahnhof Frankfurt a. Main mit einer Wahrscheinlichkeit von 3 zu 5: "Bitte beachten Sie die geänderte Zugreihenfolge".

Der Laie schaut blöd in die Gegend und denkt sich, was denn eine geänderte Zugreifenfolge sein möge.

Nicht selten blickt man auch in fast schon verzweifelt wirkende Fahrgäste, die mit einem leicht wahnsinnigen Grinsen auf die 50kg-Wandschrank-Imitate mit der schmeichelhaften Bezeichnung "Koffer" schauen und sich in Gedanken vorstellen, wie sie den Gewaltakt des Transports zu einem anderen Gleis überstehen sollen. Diese Gäste denken, dass die Züge offensichtlich in einer falschen Reihenfolge im Gleis fahren und damit der zu besteigende Zug sicher an einem anderen Gleis zum stehen kommen wird (ok, keine absoluten Laien, eher Halberfahrene, die sich vorstellen können, was die Bahn so anstellt, wenn es zu voll wird).
Die 70jährige Großmutter hat kaum gehört, was die Computerstimme da gerade gesagt hat und könnte mit dieser Wortwahl sowieso nicht viel anfangen. Für sie ist der Zug das, was da gleich kommt. Egal ob der jetzt irgendwie in einer anderen Reihenfolge kommt.

Der etwas Erfahrenere weiß, dass Zugreihenfolge eigentlich die Reihenfolge der einzelnen Wagen meint. Und schlussfolgert, dass "geändert" irgendwie nach "willkürlich zusammengewürfelt" klingt. Er oder sie gerät selbstredend erst mal in Stress, weil der Bahnsteig von Bereich A bis Bereich F locker gefühlte 500m lang ist und die Haltezeit 2min beträgt - da muss schon Hochleistungssportler sein, wenn man erst nach Einfahrt des Zuges den richtigen Bereich findet. Diese Spezies ist ziemlich häufig anzutreffen - das sind die, die nach dem Einstieg ein Sauerstoffzelt und eigentlich ein neues Hemd bräuchten.

Die Halbprofis wissen schon, dass mit der geänderten Zugreihenfolge eigentlich "die Wagen stehen genau umgekehrt" gemeint ist. Wenn der einfahrende Zug aus mehreren aneinandergekoppelten Zügen besteht (bei ICEs in Stoßzeiten keine Seltenheit) wird der Halbprofi aber verwirrt: Ist damit etwa auch die Zug-Reihenfolge selbst gemeint? Geplant war, dass der Zug ab Bereich F bis Bereich A stehen soll. Im Bereich A sollte Wagen 21 stehen, im Bereich F Wagen 37. Der Halbprofi mit Sitzplatz im Wagen 21 rennt also mit steinernem Gesichtsausdruck ans andere Ende des Bahnsteigs in Bereich F.

Die richtigen Profis hingegen wissen, dass "geänderte Zugreihenfolge" heißt: Die Wagen jedes Zuges stehen genau umgekehrt aber die Züge in der richtigen Reihenfolge. Die gehen dann lässig-meckernd einfach in einen anderen Bereich. Meistens keine 200m.

Dieses Spiel ist im ICE von Frankfurt Hbf nach Dortmund praktisch jeden Tag zu beobachten. Die richtig abgekochten Zocker stehen bereits im "falschen" Bereich. Daran erkennt man die Tagespendler - die wissen das. Und wenn die mal falsch stehen, steigen diese Menschen trotzdem ein und zischen sich ein Weizen im Bistro - die wissen eben, wie es geht.

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