Samstag, 28. April 2012

Zufallsbegegnungen

Gestern war ja bekanntlich Freitag und Freitags gleicht die Heimfahrt normalerweise einer Reise nach Jerusalem - alle kloppen sich (teilweise sogar wörtlich genommen) um die Sitzplätze.

Ein paar wenige, die das Theater kennen und darauf keine große Lust haben, investieren bis zu 4 EUR für eine Sitzplatzreservierung. So auch ein älteres Paar, dass die beiden Fensterplätze an unserem Vierertisch reserviert hatte.


Die beiden waren auf dem Weg nach Köln, weil nur von dort aus ein Flug nach London Stansted abhebt - ja, der Frankfurter Flughafen fliegt diesen Flughafen nicht an. Sie wollen ihre Tochter in Cambridge besuchen, die dort in einem Häuschen mit Blick auf die Cam zusammen mit ihrem Mann wohnt. Die Tochter hat vor drei Monaten ein Kind geboren und das Paar fährt die kleine Familie in Großbritannien über den Maifeiertag hinweg besuchen.

Der Dekan der Universität bei der die Tochter arbeitet war so pragmatisch und hat, als er erfahren hat, dass sie schwanger ist, kurzerhand für sie 3 Forschungssemester vorgezogen, die ihr sowieso irgendwann zugestanden hätten. So konnte sie 18 Monate lang von zu Hause aus forschen und gleichzeitig Mutter sein. Sie könne ja später die Zeit wieder nacharbeiten, wenn sie das denn möchte.

Ihre älteste Tochter ist Anwältin und extrem unzufrieden mit ihrem Arbeitgeber. Auch sie bekam vor wenigen Jahren ihr erstes Kind und wollte ein paar Stunden reduzieren. Ihr Arbeitgeber bot ihr großzügig eine 3/4tel-Stelle an. Selbstredend nur auf die Bezahlung bezogen, denn vor 20 oder 21 Uhr Abends konnte sie nicht Feierabend machen. Ihr Mann konnte glücklicherweise Erziehungsurlaub machen.


Warum ich das alles erzähle? Die beiden haben mich schwer beeindruckt. Er war ein sehr ruhiger Mann, der intelligent-witzig erzählen konnte. Wir haben uns über die Almende in England unterhalten und über die zukünftige Entwicklung des Schienenverkehrs zwischen Frankfurt und London (es ist eine Direktverbindung geplant ohne 2-Stunden-Aufenthalt in Brüssel). Sie war ein wenig aufgebracht, weil die Klimaanlage im Zug nicht gut funktionierte und wir geschwitzt haben wie sonst was. Die beiden haben sich auf ihre Art wunderbar ergänzt.

Wir haben über eine Stunde miteinander unsere Gedanken ausgetauscht und eine so schöne Art von Smalltalk gehalten, die man heute nur noch sehr selten erfährt. Kein Zynismus, kein Sarkasmus, keine blöden Sprüche, keine Witzeleien (obwohl das Gespräch sehr humorvoll geführt wurde) - einfach großartig.

Diese Begegnung hat mich tief berührt weil ich immer wieder erstaunt darüber bin, welche zwischenmenschliche Schätze da draußen auf uns warten und wir nur mit offenem Verstand und Wesen die Menschen für einen Moment an uns heranlassen müssen. Hätte ich beim Einsteigen die beiden nicht begrüßt, hätte der Mann mich nicht eine Belanglosigkeit gefragt - wir wären vielleicht nicht ins Gespräch gekommen und ich hätte stattdessen gelesen.

Aber da wäre mir eine so tolle Begegnung entgangen. Ich finde es ausgesprochen schade, dass ich die beiden wohl nie wieder sehen werde.

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